Singen mit kleinen Kindern von 2 – 6

Zunächst möchte ich dir einen wichtigen Gedanken mitgeben:
Stell dir vor, du sollst das Rechnen lernen, und dein Lehrer beginnt in deiner 1. Rechenstunde in der 1. Klasse Volksschule mit Schlussrechnungen oder gar Differentialgleichungen. Es ist jedem einsichtig, dass dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist. Auch beim Schreiben lernen wir erst einzelne Buchstaben, Worte, Sätze. Kein Kind bekommt in der ersten Deutschstunde eine philosophische Abhandlung von Arthur Schopenhauer vorgelegt. Wissen muss aufgebaut werden – und zwar langsam und in kleinen Lernschritten!
Das ist bei der Musik nicht anders! Wenn Kinder singen lernen sollen, dann beginnt man nicht mit einer Komposition von Freddie Mercury!
Übrigens: Wenn du auch noch so gerne Musik hörst, hilft deine Musik dem Kind sehr wenig dabei, selber richtig zu singen. Es sei denn, dem Kind werden parallel dazu adäquate Lernschritte ermöglicht! Der Schritt vom Hören zum Singen muss gelernt sein!
Als Beispiel dafür gibt es Musiker, die brilliant ihr Instrument beherrschen, aber kein Lied singen können.

Wenn du selber gerne musizierst, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch den Kind, aufgrund des Dranges zur Imitation, Freude am Musik machen hat. Eine Oma schreibt mir folgendes:
„…Das ist etwas für A, der total in der Musik- und Klangwelt lebt, obwohl er erst 2 Jahre alt ist. Bei den anderen Kindern, die auch sehr musikalisch sind, ist uns das gar nicht so aufgefallen. Das erste, was A. mit seiner Stimme ausprobierte, waren Geräusche – bevor er Worte gesprochen hat, machte er alle möglichen Geräusche nach und versuchte sie mit Händen und Füßen darzustellen. Voll interessant – er nimmt die kleine Gitarre von seinem Bruder und spielt darauf, singt dazu, bewegt sich dazu…es ist unglaublich. Und seitdem er meinen Mann zu Weihnachten beim Cellospielen gesehen hat, nimmt er die Gitarre wie ein Cello und singt dazu mindestens 4 verschiedene Töne und tut so, als wenn er mit dem Bogen über die Saiten fährt. Das ist so witzig!“

Manchmal behaupten auch Eltern, sie seien unmusikalisch. Dazu sei gesagt, dass Amusie sehr selten vorkommt! Es entspricht eher der Wahrheit, dass die Eltern nicht trainiert sind. Und die gute Nachricht: Auch Erwachsene können das Singen noch lernen, so wie man auch ein Instrument noch lernen kann. Vielleicht ist dieses Faktum eine Motivation, gemeinsam mit dem Kind singen zu lernen! Ich will dir Mut machen: Du könntest deine längst vergessene Blockflöte auspacken und mit „Alle meine Entlein“ beginnen!

Musik und Sprache

Bevor Kinder sprechen lernen, beginnen sie bereits Geräusche zu imitieren (siehe Bericht der Oma) oder vor sich her zu singen. Wer kennt das nicht, dass ein Kind mit einem Auto spielt und „brm, brm“ dazu kommentiert oder es singt dem Stoffteddy ein Lied vor – ganz intuitiv folgt das Kind seinem eigenen inneren Singsang. Musik ist in der Regel vor der Sprache vorhanden.
Musik ist in uns angelegt und ein essentielles Ausdrucksmittel. Selbst die Höhlenmenschen spielten schon auf der Trommel oder auf der Flöte!

Wie aber lernt ein Kind unser Tonsystem? Wie lernt es Tonlängen zu unterscheiden?
Hier gebe ich dir praktische Hilfestellungen.

Fingerspiele

Es gibt ganz einfache Fingerspiele und Mitmachreime, bei denen rhythmisches Sprechen eintrainiert wird. Das macht auch schon 1-2jährigen Spaß! Hier ein Beispiel:

Zum Eintrainieren unterschiedlicher Tonlängen eignet sich das Gedicht vom Schneemann:
„Stapf, stapf, stapf“ entspricht dem Längenwert von Viertelnoten
„Trappel, trappel, trap“ entspricht dem Längenwert von Achtelnoten
„Hüpf,hüpf, hooooo“ dabei entspricht sdas „hooooo“ dem Wert einer Halben Note
Durch Klopfen auf die Oberschenkel, werden die unterschiedliche Tempi verdeutlicht und hörbar.

Unterschiedliche Tonhöhen

Das Kind soll zunächst probieren, mit der Stimme zu modulieren: Wie klingt ein Satz mit hoher Stimme gesprochen? Wie klingt er mit tiefer Stimme gesprochen? Ein schönes Beispiel dafür ist die Bärengeschichte von Familie Tatzentupf: Papa Tatzentupf spricht tief, Mama in mittlerer Tonlage, die Kinder hoch!

Gerhard Schilcher und Cornelia Kirsch

Lieder im Fünf- und Sechstonraum

Wenn Kinder unsere westlichen Tonskalen lernen sollen, beginnst du zunächst mit den ersten 5 Tönen der Tonskala. Einfache Kinderlieder sind dazu wunderbar geeignet, weil sie keine großen Tonsprünge haben, sondern die Tonleiter als solche gesungen wird.
Die Tonhöhe ist einerlei: Kinder erkennen eine Melodiefolge in unterschiedlichen Tonarten bzw. Tonhöhen wieder. Das ist übrigens beim Vogel anders: Er kann seine Melodie nicht in andere Tonhöhen übertragen und auch in anderer Lage nicht wiedererkennen!
Beispiele für Kinderlieder:
„Ringel, ringel, reihe“ (5 Töne)
„Backe, backe Kuchen“ (5 Töne)
„Ist ein Mann im Brunnen g´fallen“ (5 Töne)
„Alle meine Entchen“ (6 Töne)
„Fuchs du hast die Gans gestohlen“ (6 Töne)
„Spannenlanger Hansl“ (6Töne)
Die Kinder lernen dabei unsere Dur -Tonskala zu verinnerlichen und die Tonabstände sowohl zu hören als auch zu imitieren.

Lieder im Oktavumfang

Es ist im Kindergarten ausreichend, den Umfang der Oktav zu lernen. Fast alle bekannten Kinderlieder und auch unsere herkömmlichen Weihnachtslieder sind hervorragend dazu geeignet. Auch volkstümliche Lieder wie „Und jetzt gang i ans Petersbrünnele“ machen Kindern viel Spaß. Wenn zusätzlich auch zu Hause viel gesungen wird, können Kinder am Ende der Kindergartenzeit Töne einfacher Liedern mühelos exakt treffen.
Unser Problem ist, dass uns Lieder gefallen, die etwas komplizierter aufgebaut sind. Die Lieder sind dann zu umfassend und fordern vom Kind zu viele neue Lernschritte gleichzeitig. Das Kind kann die Vielzahl neuer Töne nicht so schnell erfassen, und trifft deshalb den richtigen Ton nicht!
Ein Vergleich mit der Mathematik: Wenn das Kind die Zahlen von 1 – 10 gelernt hat, setzt es nicht sofort mit dem Zahlenbereich von 1 – 1000 fort. Auch hier wird der Zahlenbereich langsam aufgebaut, der Lernfortschritt schreitet allerdings immer schneller voran, wenn die Grundlagen passen.

Musik und Tanz

Kinder bewegen sich gern zur Musik. Allerdings ist unsere Tanzmusik für Kinder denkbar ungeeignet: Warum? Wenn ein Erwachsener rhythmisch hüpft, macht er je nach Größe und Körpergewicht 110 – 140 Sprünge pro Minute. Ein Kind jedoch bringt leicht 160 – 180 Hüpfer pro Minute zustande, da es kleiner und leichter ist. Wegen dieser Unterschiede ist unsere Tanzmusik für Kinder viel zu langsam. Wenn die Synchronisation von Musik und Bewegung bei Kindern gelingen soll, muss die Musik beschleunigt werden auf etwa 180 Schläge pro Minute. Erst dann kann ein Kind sich zur Musik bewegen. Wir Erwachsenen allerdings sind bei diesem Tempo schnell erledigt! Bewegung (engl. motion) ist sehr intensiv mit unserer Gefühlswelt (engl. emotion) verknüpft. Motion zur Musik (=Tanz) löst bei Kindern in der Regel eine sehr freudige Emotion aus. Dass diese Verknüpfung beim Erwachsenen nicht immer stattfindet, hat eine lange persönliche und gesellschaftliche Geschichte. Es wäre interessant nachzuforschen, wann und warum im persönlichen Lebenslauf dieser Bruch zustande kam. Und: Es lässt sich ein neuer Anfang machen!